Interessante Aspekte und beachtliche Abgründe der koreanischen Polit-Landschaft.
Politisches System

Es gibt einen Präsidenten (vom Volk gewählt), einen Premierminister (vom Präsidenten vorgeschlagen und vom Parlament bestätigt) und ein Ein-Kammern-Parlament mit 300 Abgeordneten (National Assembly). Der Präsident ist Staatschef, der Premierminister Regierungschef.
Der aktuelle Präsident heißt Moon Jae-In. Wegen weiter steigender Mietpreise und der wirtschaftlichen Auswirkungen von Eh-schon-wissen gilt er als politisch angeschlagen. Eine neuerliche Kandidatur ist aber ohnehin nicht möglich, denn die Präsidentschaft ist auf eine fünfjährige Amtszeit beschränkt. Aktueller Premierminister ist Chung Sye-Kyung.
Die National Assembly wird von Demokratischer Partei (liberal, 58 % der Sitze) und Volkspartei bzw. „People Power Party“ (national-konservativ, 34 % der Sitze) dominiert, allerdings sind Parteien in Korea kurzlebiger, als in Europa. Regelmäßig gibt es Neugründungen oder Namens- und Allianzwechsel. Wer sich das genauer ansehen will, kann das mit einer Wikipedia-Grafik tun (Achtung: Augenschmerzen-Gefahr).
Sehr lobenswert ist meiner Meinung nach, dass der Wahlkampf gesetzlich auf die zwei Wochen vor dem Wahltermin begrenzt ist.

Skandale der jüngeren Vergangenheit
Der Fall Kim Jong-Cheol
Kim wurde 2020 Obmann der sozialdemokratischen Gerechtigkeitspartei, trat aber bereits im heurigen Jänner zurück, nachdem er der sexuellen Belästigung beschuldigt wurde. Seine Partei verzichtete deshalb auf eine Kandidatur bei der Bürgermeisterwahl in Seoul.
Der Fall Park Won-Soon (2011-2020 Bürgermeister von Seoul)
Der „Chef“ von fast 10 Millionen Hauptstädtern wurde im Juli 2020 von einer ehemaligen Sekretärin der sexuellen Belästigung über einen Zeitraum von vier Jahren beschuldigt. Einen Tag nach publikwerden der Anschuldigungen beging Park Selbstmord. Einige Wochen später schloss die koreanische Kommission für Menschenrechte eine Untersuchung ab und kam zum Schluss, dass er nach aktueller Gesetzeslage schuldig war.
Besonders pikant ist, dass Park sich immer als Frauenrechtler und Feminist inszeniert hat und in seinem Hauptberuf als Menschenrechtsanwalt u.a. die erste Verurteilung wegen sexueller Belästigung in der Geschichte Südkoreas erreicht hat.
Parteizugehörigkeit: Demokratische Partei (sozial-liberal)

Der Fall Oh Keo-Don (2018-2020 Bürgermeister von Busan)
Oh wurde im April 2020 der sexuellen Belästigung beschuldigt und trat Ende desselben Monats zurück – laut eigener Aussage aus freien Stücken. Kurze Zeit später wurde er aus der Demokratischen Partei ausgeschlossen. Das Opfer hat keine Anzeige erstattet.
Der Fall Ahn Hee-Jung (2010-2018 Gouverneur der Provinz Chungcheong-nam)
Nachdem er bereits 2004 wegen unlauterer Kampagnenfinanzierung im Gefängnis saß, wurde er 2018 von einer Sekretärin der mehrfachen Vergewaltigung beschuldigt. In längeren Prozessen wurde er zunächst freigesprochen, aber im Februar 2019 in letzter Instanz zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Bei den internen Vorwahlen der Demokratischen Partei (ja, schon wieder!) zur Präsidentschaftswahl 2017 erreichte er den zweiten Platz hinter dem schlussendlichen Wahlsieger und aktuellen Staatschef Moon Jae-In. Bis zu seiner Verurteilung galt er als aussichtsreicher Kandidat seiner Partei für die Präsidentschaftswahl 2022.

Der Fall Park Geun-Hye (Koreanische Präsidentin von 2013-2017)
Frau Park – Tochter des ehemaligen südkoreanischen Diktators Park Chung-Hee – wurde 2017 des Präsidentenamtes enthoben und in weiterer Folge wegen Machtmissbrauch, Erpressung, Bestechung und Weitergabe geheimer Regierungsdokumente zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Ihre Zustimmungsrate war auch wegen der in Korea sehr bekannten Sewol-Katastrophe am Sinken (gegen Ende nur noch bei 4 %). Die Fähre MV Sewol sank unter anfangs mysteriösen Umständen am 16. April 2014 auf der Fahrt von Incheon nach Jeju. 304 von 443 Passagieren kamen ums Leben; viele davon waren Schüler der Danwon High School auf einem Schulausflug. Technische Ursache des Unglücks war wohl eine zu riskante Kursänderung gepaart mit deutlicher Überladung des Frachtraums. Etwa fünfzehn Crew-Mitglieder und sieben Reederei-Mitarbeiter landeten im Gefängnis. Für den Kapitän forderte die Staatsanwaltschaft wegen mehrfachen Mordes sogar die Todesstrafe – das Gericht beließ es bei lebenslanger Haft. Präsidentin Park wurde zunächst ihre langsame Reaktion zum Verhängnis und in weiterer Folge ein geleakter Geheimdienstbericht, der das Unglück als „normalen Schiffsunfall“, aber die zahlreichen Demonstrationen für eine eingehendere Untersuchung als Sicherheitsrisiko bezeichnete.

Wahl in Seoul 2021
Realistische Chancen auf das Bürgermeisteramt haben nur die Linke Park Young-Sun und der Konservative Oh Se-Hoon.
Update 08.04.: Der Oh macht’s! Mit erstaunlichen 57,5 % prügeln die Konservativen die regierenden Demokraten aus dem Rathaus. Park Young-Sun erreicht knapp 40 %. Die Kleinparteien gehen völlig unter: Liste 7 mit Herrn Huh Kyung-Young überzeugt mit dem Hochzeits-Sponsoring (siehe unten) immerhin 1,07 %. Alle anderen bleiben im Promillebereich. In Busan gibt es ein noch größeres Gemetzel. Dort bekommt der Konservative Park Hyung-Joon fast zwei Drittel der Stimmen. Beide Ergebnisse gelten als schallende Ohrfeige für den amtierenden Staatschef, Moon Jae-In.
Oh war bereits 2006-2011 Bürgermeister und eines seiner Anliegen war die Qualität des Seouler Leitungswassers.
Park diente zuletzt im Kabinett Moon Jae-In als Ministerin für „Klein- und Mittelbetriebe und Startups“ (ja, das gibt es wirklich!). Sie war und ist eine Kritikerin der koreanischen Oligarchen-Familien (hinter Samsung Group und anderen Konzernen), welche ihr Marktsegment oft nach Belieben dominiert haben.
Einige andere Kandidaten und Kandidatinnen:

Vorbemerkung: Lateinische Schreibung von mir improvisiert, alle Informationen unter Vorbehalt, weil mit begrenzten Sprachkenntnissen und Google Translator von Wikipedia Korea rausgesucht. Korrekturen und Ergänzungen bitte sehr gerne in die Kommentare.
- Liste 6: Frau Shin Ji-Hye von der „Basic Income Party“ fordert ein Bedingungsloses Grundeinkommen von rund 450 Euro pro Monat. Die Partei hat aktuell einen Sitz in der „National Assembly“.
- Liste 7: Herr Huh Kyung-Young von der „Nationalen Revolutionären Partei“ fordert die Verkleinerung der „National Assembly“ auf 100 unbezahlte Abgeordnete, ein Hochzeits-Sponsoring in der Höhe von rund 35.000 Euro für jeden neuen Bräutigam und jede neue Braut (und nochmal für jedes geborene Kind) und den Umzug der UNO-Zentrale von New York in die koreanische Demilitarisierte Zone (DMZ). Seine Partei hat, wie auch alle folgenden, keine Abgeordneten in der National Assembly.
- Liste 9: Herr Lee Su-Bong von der Misaeng-Partei (wirtschaftsliberal/sozialkonservativ). Diese ist bei der Parlamentswahl im letzten Jahr aus der National Assembly geflogen, stellt aber landesweit drei Bürgermeister.
- Liste 11: Frau Kim Jin-Ah von der Frauenpartei (der Name ist Programm)
- Liste 15: Frau Shin Jie-Ye, ehemals bei der Grünen Partei, kandidiert diesmal unabhängig.
Ein Super Bericht. Wo findet man das schon auf Deutsch? Vielen Dank, Reinhard.
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Bitte sehr. Danke fürs Feedback!
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